ME/CFS und Long COVID: Sind sie in Wahrheit Autoimmunerkrankungen?

Leidest du unter chronischer Erschöpfung ? Erfahre, warum ME/CFS und Long Covid möglicherweise Autoimmunerkrankungen sind – mit aktuellen Forschungserkenntnissen.

Chronische Erschöpfung durch das eigene Immunsystem?

Es fällt mir nicht leicht, diesen Artikel zu schreiben. Eigentlich wollte ich mich inzwischen auf das Thema Angstbewältigung konzentrieren – ein Bereich, der mir sehr am Herzen liegt und in dem ich viele Menschen begleiten darf. Doch das Leben hat mich noch einmal zurückgeführt: Nach einer schweren Herpesvirus-Infektion mit wiederholter Beteiligung des Gleichgewichtsnervs sind meine alten CFS-Symptome plötzlich wieder zurück – nach über drei Jahren Beschwerdefreiheit.

Diese Erfahrung hat mir erneut deutlich gemacht, dass hinter ME/CFS (und auch Long COVID) mehr steckt als ein „normales“ Krankheitsbild. Und ich möchte das mit dir teilen – nicht nur als Betroffene, sondern auch als jemand, der sich intensiv mit den wissenschaftlichen Hintergründen befasst hat.

Was ist ME/CFS?

ME/CFS steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom – eine schwerwiegende, chronische neuroimmunologische Erkrankung, die sich u.a. durch

  • tiefe Erschöpfung
  • gestörte Erholung nach Belastung (Post-Exertional Malaise)
  • Konzentrationsstörungen („Brain Fog“)
  • Schlafstörungen und
  • neurologische und autonome Funktionsstörungen

äußert. Häufig beginnt sie nach einer Infektion – zum Beispiel mit Epstein-Barr-, Herpes- Influenzaviren oder anderen viralen Erregern.

Was ist Long COVID?

Long COVID beschreibt Beschwerden, die Wochen oder Monate nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion bestehen bleiben. Dazu zählen u.a. Atemnot, Fatigue, Gehirnnebel (Brain Fog), Muskelschwäche, Schlafstörungen und autonome Funktionsstörungen. Viele dieser Symptome ähneln jenen bei ME/CFS.

Neue Forschung: Hinweise auf Autoimmunprozesse

In den letzten Jahren hat sich die Forschung intensiv mit möglichen Ursachen beschäftigt – und vieles spricht inzwischen für eine autoimmune Beteiligung. Hier die wichtigsten Erkenntnisse:

1. Autoantikörper

Sowohl bei ME/CFS als auch bei Long Covid wurden Autoantikörper nachgewiesen, die gegen körpereigene Strukturen gerichtet sind. Besonders relevant: Autoantikörper, die sich gegen Rezeptoren im Nervensystem richten – insbesondere gegen

  • Beta-2-Adrenozeptoren
  • Muskarinische Acetylcholinrezeptoren

Diese Rezeptoren sind Teil des autonomen Nervensystems und spielen eine zentrale Rolle bei der Regulation von Herzfrequenz, Blutdruck, Atmung und Verdauung. Werden sie durch Autoantikörper blockiert oder fehlreguliert, können Symptome wie Atemprobleme, Herzrasen, Schwäche, Schwindel, mentale Erschöpfung und Kreislaufprobleme entstehen. In der Forschung spricht man von einer „funktionellen Autoimmunität“, weil die Autoantikörper keine Zerstörung, sondern eine Fehlregulation auslösen.

2. Neuroinflammation

Bildgebende Studien deuten auf chronische Entzündungen im Gehirn hin – ein möglicher Grund für Konzentrationsstörungen, Brain Fog und Reizempfindlichkeit.

3. Chronisch aktives Immunsystem

Erhöhte Entzündungswerte (z.B. IL-6, TNF-Alpha) zeigen, dass das Immunsystem dauerhaft aktiviert ist – auch lange nach der ursprünglichen Infektion.

4. Parallelen zu bekannten Autoimmunerkrankungen

Auffällig ist:

  • Die Ähnlichkeit der Symptome mit Erkrankungen wie Lupus oder MS
  • Die Häufigkeit bei Frauen mittleren Alters
  • Die zyklische, schubweise Natur der Beschwerden

Was bedeutet das für Betroffene?

Wenn es sich bei ME/CFS und Long COVID tatsächlich um Autoimmunprozesse handelt, könnten sich daraus neue therapeutische Wege eröffnen.

  • Immunmodulierende Therapien (Einsatz von Medikamenten, die das fehlgeleitete Immunsystem regulieren)
  • Plasmapherese: Erste Studien untersuchen den Nutzen einer „Blutwäsche“, um schädliche Autoantikörper zu entfernen
  • Zielgerichtete Ernährung, Mikronährstofftherapie und Entgiftung zur Unterstützung der Mitochondrien und zur Entzündungsreduktion
  • Unterstützung des autonomen Nervensystems durch ganzheitliche Maßnahmen

In meinem Fall war es erneut ein Virus, das mein System gekippt hat – und das bestärkt meine Vermutung, dass auch in meinem Körper ein Autoimmunprozess abläuft.

Autoimmunreaktionen betreffen jedoch nicht nur den Körper – sie können auch tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Psyche haben, insbesondere auf Angstgefühle.

Autoimmunprozesse als gemeinsame Ursache für körperliche und psychische Symptome

Immer deutlicher wird: Die klassischen Grenzen zwischen Körper und Psyche verschwimmen bei Erkrankungen wie ME/CFS und Long COVID. Autoimmunprozesse betreffen nicht nur das Immunsystem, sondern können auch tiefgreifende Auswirkungen auf das Gehirn und die emotionale Verfassung haben – insbesondere im Hinblick auf Ängste, innere Unruhe und Panikgefühle.

Entzündung trifft Emotion

Chronische Entzündungsprozesse, wie sie bei Autoimmunreaktionen entstehen, können das zentrale Nervensystem beeinträchtigen. Besonders betroffen ist das limbische System – der Teil unseres Gehirns, der für emotionale Reaktionen zuständig ist. Eine überreizte Amygdala – unser innerer Gefahrenmelder – kann zu einer anhaltenden Alarmbereitschaft führen. Das Resultat: Reizbarkeit, ständige Anspannung und Angstgefühle, die sich kaum kontrollieren lassen.

Gleichzeitig verändern Immunbotenstoffe wie IL-6 oder TNF-alpha die Neurochemie. Sie können die Produktion von Serotonin, Dopamin und GABA hemmen – Botenstoffe, die normalerweise beruhigend und stimmungsaufhellend wirken. Die Folge ist ein inneres Ungleichgewicht, das sich nicht selten in Schlafstörungen, Grübelschleifen oder sogar Panikattacken äußert.

Nervensystem unter Beschuss

Besinders Spannend: In Studien wurden Autoantikörper gefunden, die sich gegen bestimmte Rezeptoren im Nervensystem richten – etwa gegen Beta-Adrenorezeptoren oder GABA-Rezeptoren. Diese Rezeptoren regulieren u.a. unseren Kreislauf, die Stressantwort und das emotionale Gleichgewicht. Werden sie durch Autoantikörper blockiert oder gestört, kann es zu einer Verschiebung im autonomen Nervensystem kommen: Der Körper verbleibt im Kampf-oder-Flucht-Modus, auch ohne akute Gefahr.

Das erklärt auch, warum viele Betroffene plötzlich Symptome wie Herzrasen, Atemnot, Schwindel oder Engegefühle erleben – klassische Angstreaktionen, die aber möglicherweise aus dem Immunsystem heraus entstehen, nicht aus der Psyche.

Warum das so wichtig ist

Die Angst ist echt – aber sie muss nicht aus der Seele kommen. Sie kann körperlich, immunologisch und neurologisch begründet sein. Dieses Wissen entlastet nicht nur emotional, sondern kann auch den Weg zu neuen Behandlungsansätzen ebnen – z.B. durch entzündungshemmende Ernährung, Immunmodulation oder die gezielte Unterstützung des Nervensystems.

Mein persönlicher Impuls

Rückblickend war es für mich immer auffällig, wie schubweise meine Beschwerden sich verschlechterten – besonders nach Infekten oder starken Belastungen. Schon damals hatte ich den Verdacht, dass ein autoimmunes Geschehen im Hintergrund mitwirkt – obwohl mir das medizinisch niemand bestätigen konnte. Die überwiegende Zahl der Ärzte empfahl mir ohnehin einen psychotherapeutischen Ansatz. Die Idee, Autoantikörper in Zusammenhang mit meinen Beschwerden zu testen, war damals unvorstellbar.

Mein Fazit: Warum ich diesen Artikel geschrieben habe

Ich hätte diesen Text gerne nie wieder schreiben müssen. Doch ich habe gelernt, dass gerade in unseren Rückschritten auch Erkenntnisse liegen können – für uns selbst und für andere.

Die wissenschaftlichen Hinweise verdichten sich. Sowohl ME/CFS als auch Long COVID könnten immunvermittelte Multisystemerkrankungen sein – vielleicht sogar Autoimmunerkrankungen. Eine endgültige Einordnung steht noch aus, doch das Verständnis wächst – und damit auch die Hoffnung auf gezieltere Behandlungsoptionen für Millionen Betroffene weltweit.

Autoimmunprozesse könnten der Schlüssel sein – sowohl für chronische Erschöpfung als auch für scheinbar unerklärliche Ängste.

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Quellen und weiterführende Studien

1. Su, Y., Yuan, D., Chen, D. G., Ng, R. H., Wang, K., Choi, J., Li, S., … & Heath, J. R. (2023). Multiple early factors anticipate post-acute COVID-19 sequelae. Nature, 606(7916), 576–584.                                    https://doi.org/10.1038/s41586-023-06075-7

2. Blomberg et al. (2023) – Frontiers in Immunology:
Autoimmunity and chronic immune activation in ME/CFS and Long COVID – similarities and treatment potential. Frontiers in Immunology, 14, 1109703. https://doi.org/10.3389/fimmu.2023.1109703

3. Wirth, K., & Scheibenbogen, C. (2022). Pathophysiology of ME/CFS and Long COVID: The role of autoimmunity and vascular dysregulation. Journal of Translational Medicine, 20(1), 103.                    https://doi.org/10.1186/s12967-022-03491-2

4. Proal, A. D., & VanElzakker, M. B. (2021). Long COVID: An emerging post-viral syndrome with autoimmune features. Frontiers in Microbiology, 12, 698169. https://doi.org/10.3389/fmicb.2021.698169

5. Ghareghani, M., Zibara, K., & Sadeghi, H. (2022). Autoimmunity as a possible cause of anxiety and depression – mechanisms and implications. Frontiers in Immunology, 13, 911745.                                 https://doi.org/10.3389/fimmu.2022.911745

6. Loebel, M et al. (2016): „Functional autoantibodoes against adrenergic and muscarinic receptors in patients with Chronic Fatigue Syndrome“ Brain, Behavior, and Immunity, 52, 32–39.                         https://doi.org/10.1016/j.bbi.2015.09.013

 

 

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